Carela in den Medien: Wenn die eigene Mutter zur bezahlten Pflegekraft wird

Bericht: Fabienne Sennhauser, Tages-Anzeiger vom 15.08.2025

Fotos: Moritz Hager

Der Tages-Anzeiger berichtete am 15. August 2025 über die Situation der pflegenden Angehörigen Amela Stojanov, die bei Carela angestellt ist. Verschiedene Parteien kommen im Bericht zu Wort: die Familie Stojanov, Carela Co-CEO Azra Karabegovic, dipl. Pflegefachfrau Katja Sütterlin, die Gesundheitskonferenz Kanton Zürich (Geko ZH) und der nationale Verband der privaten Spitex-Organisationen ASPS.

Pink in jeder Schattierung, wohin das Auge reicht. Nach ihrer Lieblingsfarbe braucht man Ema nicht zu fragen. Kleidung, Brille, Haargummi, Schuhe, Trottinett, Teppich und gar eine Wand im Kinderzimmer der Siebenjährigen: Alles ist aufeinander abgestimmt. Die Abstimmung im Leben des kleinen Mädchens geht aber noch weit über die Farbwahl ihrer Accessoires hinaus. «Unser ganzes Leben läuft nach einem strikten Plan», sagt Mama Amela Stojanov. Denn Ema ist Autistin. Was nicht der gewohnten Routine folgt, überfordert sie.

Wegen der Tochter musste sie ihren Beruf aufgeben

Gerüche, Geräusche, Bewegungen: Ema wird permanent von Details abgelenkt. Alltägliche Handlungen wie auf die Toilette gehen, anziehen oder Zähne putzen schafft sie darum nicht ohne Hilfe. Doch selbst die grösstmögliche Routine ist keine Garantie dafür, dass alles rundläuft. «Manchmal will Ema die Schuhe nicht anziehen und steigert sich in einen Schreikrampf hinein», sagt Amela Stojanov. Dann brauche es Geduld. Auch wenn in der Schule nichts mehr geht, wird die Mutter angerufen. Auf Schulausflügen ist sie sowieso immer dabei. Möglich ist das nur, weil Stojanov ihren Job im Altersheim Wegen der Tochter musste sie ihren Beruf aufgeben aufgab und sich letzten Sommer als pflegende Angehörige hat anstellen lassen. Lange wusste sie nicht, dass sie Anspruch hat, für die Pflegearbeit entschädigt zu werden. Davon erzählt hat ihr eine befreundete Mutter. «Zuerst widerstrebte es mir total, mich dafür zahlen zu lassen, dass ich für mein Kind sorge», erinnert sich Stojanov. Aber nur mit dem Gehalt des Ehemanns käme die bosnisch-serbische Familie nicht über die Runden. Rund 40 Stunden bekommt die Mutter pro Monat bezahlt. Der Bruttostundenlohn liegt bei 35.30 Franken. Die Krankenkasse vergütet ausschliesslich die Grundpflegestunden. Also die Zeit, die Amela aufwendet, um ihr Kind zu duschen, anzuziehen oder ihm beim Essen zu helfen. Die übrige Betreuung, die Ema rund um die Uhr benötigt, bleibt unbezahlt. Fahren Stojanovs in die Ferien, erhält Mama Amela ebenfalls kein Geld. Der Lohn, den sie als pflegende Angehörige erhalte, sei natürlich nie so hoch wie der, den sie auf ihrem eigentlichen Job erhalten habe, konstatiert die Mutter. «Er ist aber ein wichtiger Zustupf für das Familienbudget.»

Mehr als eine halbe Million pflegende Angehörige

Seit einem Bundesgerichtsentscheid 2019 dürfen sich Angehörige für Pflegearbeit bezahlen lassen. Allerdings nur, wenn sie bei einer Spitex-Firma unter Vertrag sind. Die Firmen übernehmen die administrativen Aufgaben, sind aber auch verpflichtet, die Angehörigen fachlich auszubilden und zu begleiten. Dafür geht ein wesentlicher Teil der Krankenkassengelder an die Spitex-Firmen. Für jede geleistete Pflegestunde erstattet die Krankenkasse 52.60 Franken. Gemeinde und Kantone zahlen nochmals 19 bis maximal 30 Franken. Heisst: Private Spitex-Firmen können rund 80 Franken pro Stunde in Rechnung stellen. Den pflegenden Angehörigen zahlen sie aber maximal 38 Franken Lohn aus. Durch das Bundesgerichtsurteil entstand also ein neuer Markt – und dessen Potenzial ist gross. Wie viele Menschen in der Schweiz Angehörige pflegen und betreuen, ist nirgends statistisch erfasst. Das Bundesamt für Gesundheit schätzt die Zahl landesweit aber auf rund 600’000. Innerhalb der letzten sechs Jahre sind denn auch zahlreiche private Spitex-Firmen entstanden. Doch das Geschäftsmodell gerät immer stärker in die Kritik. Gemäss dem Krankenkassenverband Santésuisse lagen die Kosten für die Angehörigenpflege 2024 schweizweit bei 100 Millionen Franken. Geld, das letztlich die Prämienzahlenden aufbringen müssen. Zuletzt hat die Gesundheitskonferenz Kanton Zürich (Geko ZH), in der 120 Gemeinden vertreten sind, mit einer Datenanalyse neuen Zündstoff in die Debatte gebracht. Demnach machten spezialisierte Spitex-Firmen einen massiv höheren Aufwand geltend als herkömmliche Spitex-Organisationen.

Geko: «Dringender Handlungsbedarf»

In Zürich waren es 2023 durchschnittlich fünfmal so viele Stunden pro Kunde, in Bülach zehnmal so viele, in Winterthur elfmal so viele. Die Geko ZH sieht «dringenden Handlungsbedarf» – vor allem weil die «hohe Gewinnabschöpfung» zulasten der Gemeindefinanzen beziehungsweise der Steuerzahlenden gehe. Gegen diesen Vorwurf wehren sich die betroffenen Spitex-Organisationen vehement. Darunter auch die Firma Carela, bei der Amela Stojanov angestellt ist. «Die Angehörigenpflege lässt sich nicht mit der herkömmlichen Spitex vergleichen», sagt Azra Karabegovic, Co-Geschäftsführerin und Leiterin Pflege von Carela. Die Angehörigenpflege sei spezialisiert auf Langzeitpatienten. «Das sind Menschen, die dauerhaft einen hohen Pflegeaufwand haben.» Wohingegen die konventionelle Spitex einen beträchtlichen Teil an Akut- und Übergangspflege leiste, so Karabegovic. «Dabei handelt es sich um Klientinnen und Klienten in der Rehaphase, bei denen von Tag zu Tag eine Besserung eintritt.» Schliesslich sei die öffentliche Spitex verpflichtet, jeden Auftrag anzunehmen. Karabegovic nennt das Beispiel einer alleinstehenden Person, der lediglich Augentropfen verabreicht werden müssen. «Das führt zu einer Vielzahl an Kurzeinsätzen und ist nicht vergleichbar mit einer Person, die dauerhaft auf Pflege angewiesen ist.» Die Datenanalyse der Gesundheitskonferenz bilde diese Unterschiede nicht ab, sagt Karabegovic. Weil lediglich die Mittelwerte der verrechneten Grundpflegestunden miteinander verglichen wurden. «Die Datenanalyse ist darum wenig aussagekräftig.» Die Gesundheitskonferenz nimmt die Kritik auf Anfrage zur Kenntnis, hält aber dagegen: Die Verabreichung von Augentropfen zähle nicht zu den Grundpflegeleistungen (KLV C). In der Analyse habe man aber nur die Grundpflegeleistungen miteinander verglichen. Das angeführte Beispiel mit den Augentropfen sei folglich argumentativ nicht stichhaltig. Warum die Angehörigenpflege im Schnitt deutlich mehr Stunden pro Klientin und Jahr verrechnet, habe nicht untersucht werden können, schreibt die Geko ZH weiter. Dies aufgrund der fehlenden Transparenz. Aber: «Auch wenn sich herausstellen würde, dass aufgrund der anderen Klientenstruktur der deutlich höhere Pflegeaufwand pro Klient gerechtfertigt ist, besteht weiterhin pro Pflegestunde eine hohe Gewinnabschöpfungsmöglichkeit», schreibt die Geko ZH weiter. Und eben darauf ziele ihre Kritik.

Spitex-Firma ist Kontrolle und seelische Stütze zugleich

Zurück in die Wohnung der Familie Stojanov in einem ruhigen Wohnquartier von Affoltern am Albis. Mutter Amela und Vater Borche sitzen am Esstisch. Sie haben Besuch von Katja Sütterlin, der fallführenden Pflegefachfrau von Carela. Die Horgnerin ist quasi die Chefin von Amela Stojanov, aber auch erste Ansprechperson – «und Freundin», ergänzt Emas Mutter. «Endlich habe ich jemanden, der meine Probleme versteht und mich nicht verurteilt.» Die Mitmenschen im Bus, die Schulbehörde, ja gar die eigene Familie: «Ich spüre von allen Seiten Druck und den Vorwurf, dass ich mein Kind nur richtig erziehen müsste», sagt Stojanov. Die monatlichen Hausbesuche von Katja Sütterlin seien darum auch so etwas wie Psychohygiene. Genau das sei der Anspruch von Carela, sagt die diplomierte Pflegefachfrau Sütterlin. «Wir wollen nicht nur finanzielle, sondern auch emotionale und fachliche Unterstützung bieten.» Eine konventionelle Spitex-Organisation könne lediglich die Pflegeleistung am eigentlichen Patienten erfüllen. «Meine Aufgabe ist dagegen, bewusst auch zu schauen, dass es Amela gut geht.» Beim Hausbesuch überprüft Sütterlin aber auch die Pflegeplanung und die Entwicklung von Ema. Wie läuft das Toilettentraining? Wie geht es Ema gesundheitlich? Was beschäftigt die Siebenjährige gerade?

Mit Piktogrammen und Geduld zum Erfolg

«Pomozi mi, pomozi mi!» Das Mädchen rennt aufgeregt durch die ganze Wohnung. Das bedeute «Hilf mir», übersetzt der Vater aus dem Bosnischen und folgt dem Kind ins Badezimmer. Mit Piktogrammen und Geduld zum Erfolg Ema hat begonnen, ihre Puppe im Lavabo zu baden, und ein Problem mit dem Seifenspender. Mit der Hilfe von Papa Borche klappt es. Einige Minuten ist die Siebenjährige nun ganz bei der Sache. «Sie macht grosse Fortschritte», erklärt die Mutter. Sie sei inzwischen präsenter, wenn man etwas mit ihr mache, und sie beginne langsam, ganze Sätze zu sagen. «Das übe ich täglich mit ihr», sagt die Mutter und präsentiert kleine laminierte Zettel. Darauf zu sehen sind Piktogramme – fürs WC, fürs Aufräumen oder wenn Ema etwas trinken möchte. «Amela macht das wirklich vorbildlich», bestätigt Katja Sütterlin, dann klingelt ihr Handy – nicht zum ersten Mal während dieses Hausbesuchs. Einer ihrer Klienten sei soeben ins Spital eingeliefert worden, erklärt sie. Sütterlin muss sich nun um alles Administrative kümmern, mit dem behandelnden Arzt telefonieren – und sie werde nachher noch kurz auf einen Besuch bei der Ehefrau, der pflegenden Angehörigen, vorbeigehen. «Sie ist jetzt allein zu Hause und bestimmt aufgewühlt.» Arbeitsaufwand, mit dem Sütterlin nicht geplant hat. «Aber das gehört zu unserer Arbeit eben auch dazu.» In der Öffentlichkeit werde indes ein völlig falsches Bild gezeichnet von der Branche. Natürlich gebe es schwarze Schafe. Firmen, die viel zu schnell wachsen würden – auf Kosten von Kontrolle und Qualität. Bei Carela sei dies anders. Die Firma hat 2023 ihren Betrieb in Zürich aufgenommen. Zurzeit verfügt sie über 85 Kundinnen und Kunden in der ganzen Schweiz, um die sich 10 Mitarbeitende kümmern. Alle hätten langjährige Erfahrung in der Spitex-Pflege sowie meist auch Weiterbildungen im Spitex-Case- Management, sagt Co-Geschäftsführerin Azra Karabegovic.

Private Anbieter kämpfen um Kunden

Gewinn mache das Unternehmen noch keinen. Der vermeintlich so stattliche Betrag, den die Firma von Krankenkasse und Gemeinden erhalte, werde vollumfänglich benötigt, um die Kosten zu decken. Karabe-Private Anbieter kämpfen um Kundengovic zählt auf: Löhne und Anfahrtswege der Pflegefachpersonen, Laptops und zugehörige Programme und Lizenzen für die Mitarbeitenden sowie Wartungskosten. Die pflegenden Angehörigen erhielten ebenfalls ein Tablet mit einer speziellen Software, auf dem sie jeden Tag ein Verlaufsprotokoll schreiben müssen. Was vielen auch nicht bewusst sei: «Die konventionelle Spitex bekommt ihre Klientinnen und Klienten zugewiesen und hat dabei in der Regel eine Defizitgarantie von der öffentlichen Hand», sagt Karabegovic. Das habe alles seine Berechtigung. Die privaten Spitex- Firmen aber müssten ihre Klientinnen und Klienten selber suchen. «Und dann wird uns ein Vorwurf gemacht, wenn wir in der Zeitung, in den sozialen Medien oder im Fernsehen Werbung machen.»

Der öffentliche Diskurs sei extrem vergrämt, konstatiert die Co-Geschäftsführerin von Carela – «und zwar hauptsächlich aus Unwissenheit». Dennoch begrüsst sie die Debatte um die Angehörigenpflege. «Es ist wichtig und richtig, dass genau hingeschau wird.» Bei Carela würde man einheitliche Regelungen und Tarife, wie sie unlängst etwa der nationale Verband der privaten Spitex-Organisationen ASPS gefordert hat, begrüssen. «Aber sie müssen auf validen Fakten basieren.» Ansonsten gingen die Kürzungen ausschliesslich auf Kosten der Qualität. Eine nationale Lösung ist derzeit allerdings nicht in Sicht. Zwar hatte der Bundesrat bereits Mitte 2023 in Aussicht gestellt, die Praxis genau zu analysieren. Im Parlament wartet man aber bis heute auf den Bericht. Einzelne Kantone wie Aargau und Zug haben die Tarife für die Angehörigenpflege bereits eingeständig gesenkt. Gestern hat nun auch die Zürcher Gesundheitsdirektion reagiert. Sie begrenzt den Restkostenbetrag für die Gemeinden in der Angehörigenpflege auf 15.75 Franken pro Stunde. Bisher lag die Limite in jedem Fall bei 30.30 Franken. Neu wird also zwischen Angehörigen und ausgebildetem Spitex-Personal unterschieden.

Klare Regeln sollen für faire Finanzierung sorgen

Ebenfalls ab dem kommenden Jahr müssen Spitex-Organisationen bei der Rechnungsstellung gegenüber den Gemeinden separat ausweisen, wie viele Pflegestunden durch Angehörige erbracht wurden. Das schaffe mehr Transparenz und erleichtere die Rechnungskontrolle, teilt die Gesundheitsdirektion gestern mit. Ausserdem wird festgelegt, dass pflegende Angehörige spätestens ein Jahr nach Stellenantritt einen Kurs in Pflegehilfe oder eine gleichwertige Ausbildung absolviert haben müssen. Und die Anzahl der pflegenden Angehörigen, die von einer Pflegefachperson betreut werden, wird begrenzt. Die Gesundheitsdirektion habe überdies beim Branchenverband der Krankenversicherer Prio.swiss sowie bei der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und-direktoren (GDK) angeregt, dass die Abrechnungsvorgaben der Kantone und der Krankenversicherungen national harmonisiert werden. «Klare Regeln sorgen für eine faire Finanzierung und eine weiterhin gute Qualität in der Angehörigenpflege», lässt sich die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli zitieren. Welche Auswirkungen die neuen Regelungen für die Firma Carela haben werden, kann Azra Karabegovic noch nicht abschätzen. Kritisch sieht sie vor allem die zusätzliche Verpflichtung, innerhalb eines Jahres einen Pflegehelferkurs zu absolvieren. Pflegende Angehörige seien oft bereits stark belastet und würden oftmals auch keine der Landessprachen flüssig sprechen. «Wir hätten uns gewünscht, dass dies stärker berücksichtigt wird.» Der nationale Verband der privaten Spitex-Organisationen ASPS teilt derweil mit: Er begrüsse, dass der Kanton Zürich in der Angehörigenpflege die Rahmenbedingungen enger fassen will. Es sei jedoch zu prüfen, ob die geplante Kürzung der Restfinanzierung durch die Gemeinden zur Kostendeckung ausreicht. Den Stojanovs sind die aktuellen Diskussionen egal. «Wir brauchen keinen Luxus. Für uns zählt nur, dass es Ema gut geht und sie in Zukunft so eigenständig wie möglich leben kann.» Bis dahin feiern sie jeden noch so kleinen Fortschritt ihrer Tochter. Seit kurzem wäscht sich Ema die Füsse unter der Dusche selbst – selbstverständlich mit einem pinken Schwamm.

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