Autismus: Selbsthilfegruppen, Pflegegeld und weitere Unterstützungstipps für pflegende Angehörige
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind neurologische Entwicklungsbeeinträchtigungen, die bei Betroffenen von Geburt an bestehen und das ganze Leben begleiten. Sie manifestieren sich in unterschiedlichen Ausprägungen, oft mit Herausforderungen in sozialer Interaktion und Kommunikation. Der Umgang mit ASS durch pflegende Angehörige stellt eine besondere Herausforderung dar, die viel Kraft und Zeit beansprucht. Es ist entscheidend, dass die Angehörigen nicht nur die Bedürfnisse der Betroffenen kennen, sondern auch selbst Entlastung und Unterstützung finden. Besonders bei Kindern mit Autismus können erhebliche Kosten für die unterstützenden Eltern entstehen, daher ist die Frage nach finanzieller Unterstützung von grosser Bedeutung. Im Interview erklärt Carolin von Juterzenka, diplomierte Pflegefachfrau HF bei Carela, wie Angehörige von Personen im Autismus-Spektrum den Pflegealltag am besten bewältigen können.
Frau von Juterzenka, wie charakterisieren sich Menschen mit Autismus?
Menschen mit Autismus gehören zu einer sehr vielfältigen Gruppe – das Spektrum ist breit und individuell. Gemeinsam ist Vielen, dass sie die Welt auf besondere Weise wahrnehmen: oft detailorientiert, mit einer ausgeprägten sensorischen Empfindsamkeit und einem grossen Bedürfnis nach Struktur und Vorhersehbarkeit. Auch in der Kommunikation gibt es oft Herausforderungen: Manche sprechen kaum, andere sehr viel, aber manchmal an den Bedürfnissen des Gegenübers vorbei.
Welche Grundpflegeleistungen übernehmen pflegende Angehörige von Personen mit Autismus?
Der Bedarf an pflegerischen Interventionen ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Je nach Ausprägung des Autismus-Spektrums übernehmen pflegende Angehörige andere Aufgaben der Grundpflege: Hilfe beim Anziehen, bei der Körperpflege, beim Essen oder bei der Toilettenhygiene. Gerade bei Kindern oder Erwachsenen mit zusätzlichen kognitiven Beeinträchtigungen sind pflegerische Handlungen häufig Teil des Alltags. Ich erinnere mich an einen autistischen Jungen, der Unterstützung beim Duschen brauchte. Der pflegende Angehörige hat ihn vor dem Duschen mit Hilfe von Piktogrammen auf das Ereignis vorbereitet. Danach begleitete er das Kind ins Bad, leitete es beim Ausziehen an und führte es unter die Dusche. Dort durfte das Kind den Duschkopf selbst in die Hand nehmen, um dem Kind zu ermöglichen, die eigene Selbstständigkeit zu fördern. Der pflegende Angehörige umfasste nur die Hand des Kindes. Nach der Reinigung des Körpers half er dem Kind aus der Duschwanne und leitete es Schritt für Schritt beim Ankleiden an.
Was muss bei der Grundpflege von Personen mit Autismus besonders beachtet werden?
Ein zentraler Punkt ist die Reizverarbeitung. Viele Menschen im Autismus-Spektrum reagieren empfindlich auf Berührungen, Geräusche oder bestimmte Gerüche – ein Duschstrahl kann sich wie Nadeln auf der Haut anfühlen, ein Shampoo-Geruch Übelkeit auslösen. In der Pflege bedeutet das: behutsam vorgehen, ankündigen, was man tut, und möglichst vertraute Abläufe schaffen. Auch die Sprache sollte klar, direkt und ohne Metaphern sein. Und: Die Pflegeumgebung sollte reizarm sein – also keine grellen Lichter, keine lauten Geräte. Strukturen, Rituale und Zeit – das sind zentrale Begleiter in der Pflege von Menschen mit Autismus. Ich empfehle insbesondere Eltern, mit Piktogrammen zu arbeiten, die Kinder können hierbei besser den Fokus halten und durch die vorhandene bildliche Reihenfolge den Tagesablauf besser umsetzen. Zum Beispiel wird dem Kind ein Bild mit einem Stuhl/Tisch/Teller gezeigt - das Kinderhält das Signal, dass die Mahlzeit bevorsteht, im Anschluss wird das betroffene Kind durch Handführung an den Tisch begleitet, wo es seine Mahlzeit einnehmen kann. Zusammengefasst sind bei der Betreuung zuhause klare und wiederkehrende Strukturen sehr hilfreich.

Welche Pflegeinterventionen gibt es zur Förderung der Selbständigkeit von Personen mit Autismus?
Ganz wichtig ist das Prinzip: So viel Unterstützung wie nötig, so viel Selbständigkeit wie möglich. Kleine Schritte und positive Verstärkung wirken oft Wunder. Pflegende Angehörige können die Selbstständigkeit beim An- und Auskleiden,-Toilettentraining, Morgenritual, Duschen, Essen- und Trinken und im Strassenverkehr fördern. Beispiele aus meiner Erfahrung sind ausserdem «Wenn-Dann-Regeln». Wenn beispielsweise zuerst die Zähne geputzt werden müssen und anschliessend ein Schwimmbadbesuch oder die Bastelzeit folgt. Je nach Tagesablauf kann die Regel variieren und mit Piktogrammen unterstützt werden. Ein weiteres Beispiel sind Belohnungssysteme. Wichtig ist, dass die Interventionen nicht überfordern, sondern Erfolgserlebnisse ermöglichen.
Welche 3 Tipps gibst du pflegenden Angehörigen von Personen mit Autismus?
Erstens: Halten Sie erprobte Materialien griffbereit, welche bei einer Überforderungsreaktion eingesetzt werden können (Entspannungstechniken, Massagen, Entspannungsmusik, Stressball, Aromatherapie, Kuscheltuch, Hängematte).
Zweitens: Für den Pflegealltag empfehle ich, möglichst viel positive Erlebnisse und Erinnerungen zu schaffen, wo die gepflegten Personen mit Autismus Freude empfinden können (Wassertherapie, Hippotherapie, Haustiere zum Beruhigen).
Und drittens: Ich empfehle, Autismus-Selbsthilfegruppen zu suchen, wo Angehörige mit anderen in Austausch treten und gegenseitige Unterstützung erfahren können.
Vielen Dank für die Ausführungen und Einblicke in das Leben von und die Pflege von Menschen mit Autismus.
Zusammenfassend: Angehörige, die Menschen mit Autismus pflegen, können die Betroffenen besonders mit klaren Strukturen und aufmerksamer Begleitung in ihrer Situation unterstützen. Pflegende Angehörige sind somit eine wichtige Stütze im Leben ihrer Liebsten. Unsere Pflegefachfrau Carolin von Juterzenka empfiehlt pflegenden Angehörigen unter anderem den Austausch in Autismus-Selbsthilfegruppen. Autismus Schweiz bietet solche Selbsthilfegruppen an. Neben der individuellen Selbsthilfe stehen den pflegenden Angehörigen auch Entschädigungen für die Pflege ihrer Angehörigen zu. An dieser Stelle kommt Carela zum Einsatz: Wir bieten finanzielle, fachliche und emotionale Unterstützung für pflegende Angehörige, weil professionelle Unterstützung zu guter und langfristiger Pflege führt.